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Willkommen beim Rheinhessischen Turnerbund!

Die Historie des RhTB

150 Jahre Rheinhessischer Turnerbund
... und einige Jahrzehnte mehr


von
Prof. Dr. Harald Braun
Gert Stiegler, Ergänzungen ab der Neugründung

Der Beginn der Turnbewegung

Nachdem Friedrich Ludwig Jahn alle Leibesübungen unter dem Begriff Turnen zusammengefasst und im Juni 1811 in der Hasenheide bei Berlin den ersten öffentlichen Turnplatz eingeweiht hatte, bildeten sich auch in Mainz und Worms bereits 1817 Turngemeinden. Während die Mainzer Turngemeinde das Turnverbot von 1819/20 und die bis 1842 anhaltende so genannte Turnsperre überstand, hat sich die Wormser Urturngemeinde bald wieder aufgelöst.

Noch vor der Aufhebung der Turnsperre durch König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen fanden auf Initiative des ehemaligen Turners August Ravenstein im Winter 1840 auf der Mainkur Zusammenkünfte von Turnern aus Frankfurt, Hanau und Mainz statt. Aus diesen Zusammenkünften entstand der erste Turnverband in Deutschland, der Rheinisch-Hessische Turnbezirk.

Das erste Turnfest dieses Bezirks fand am 5. September 1841 in Frankfurt, das zweite am 18. September 1842 in Mainz und das dritte in Hanau am 1. Oktober 1843 statt.

Aber mit der Gründung des Feldbergturnfestes durch August Ravenstein, das bis heute besteht, hat man von dem Rheinisch-Hessischen Turnbezirk nichts mehr gehört. Diese Organisation, über die Grenzen von damals drei Staaten des Deutschen Bundes hinweg, war zweifellos auch ein Politikum. Das verdeutlichte die Ablehnung eines nationalen Verbandes auf dem ersten überregionalen Turnfest in Heilbronn 1846.

Als Konsequenz auf die Gründung des Deutschen Turnerbundes in Hanau, am 3. April des Revolutionsjahres 1848, forderte der Mainzer Turnverein von 1817 noch im selben Monat per Rundschreiben „sämmtliche Turngemeinden des Mittelrheins“ auf, sich am 14. Mai in Mainz zu treffen, um entsprechend des Paragraphen 4 der Hanauer Beschlüsse einen Bezirksverband zu gründen. Solche Verbände sollten sich nicht an die damaligen Territorialgrenzen binden, sondern sich um eine möglichst gleichmäßige Einteilung Deutschlands bemühen.

„Nach Einheit strebt der Zeit ganz Deutschland, nach Einheit müssen auch die Turner streben, denn ihnen vorzüglich wird Deutschland seine Zukunft danken; und sind auch die Turner im Geiste längst einig, so ist doch auch die äußere Form, das Band, das unsere Bestrebungen vermitteln muß, höchst nothwendig.“

Auf der am 14. Mai 1848 in Mainz stattgefundenen Versammlung erschienen Vertreter aus 24 Turnvereinen, von denen siebzehn rheinhessische Vereine waren:

Alsheim, Alzey, Bingen, Bodenheim, Bretzenheim, Kastel, Hechtsheim, Mainz, Nieder- und Ober-Ingelheim, Ober-Olm, Ober-Hilbersheim, Pfeddersheim, Sauerschwabenheim, Sprendlingen, Weisenau und Worms.

Der Mittelrheinische Bezirksverband wurde gegründet, der sich dem Deutschen Turnerbund anschloss. Zum Vorort, d.h. mit der Geschäftsführung des Bezirks, wurde der Vorstand des Mainzer Turnvereins 1817 betraut. Für den Fall, dass der Vorort Mainz durch Belagerungszustand in „Ausübung seines Berufes gestört werden sollte“, ist Worms gewählt worden.

Über das Gebiet des ersten Verbandes von 1840 hinausgehend hat der Vorort Mainz recht aktiv den neuen Verband in den Revolutionsjahren geleitet. Nachdem aber die Großherzoglich-Hessische Regierung in Darmstadt am 2. Oktober 1850 alle politischen Vereine verboten hat, löste sich der Mainzer Turnverein in seiner Generalversammlung am 4. Oktober 1850 auf, trat aus dem nur kurzlebigen Allgemeinen Deutschen Turnerbund aus und gab auch die Vorortschaft des Mittelrheinisch demokratischen Turnverbandes ab.

Mit denselben Mitgliedern gründete sich der Mittelrheinische Bezirksverband unter dem Namen Turngemeinde Mainz sofort wieder, die „fern von jeder politischen Richtung, ausschließlich nur den Zweck hat, die körperliche und geistige Kraft ihrer Mitglieder zu fördern und auszubilden.“

Turn- und Jugendfest 1860 in Coburg

Etwa zehn Jahre lang herrschte im Lager der Turner zum zweiten Mal Grabesstille. Viele Vereine hatten Feuerwehrabteilungen gegründet und konnten so der Unterdrückung entgehen. Dann, so heißt es in der Literatur zur Turngeschichte, erscholl 1860 durch die beiden Schwaben Georgii und Kallenberg der„Ruf zur Sammlung“,der seinen Widerhall in dem glänzenden Turn- und Jugendfest in Coburg am 17. und 18. Juni 1860 fand, dem Jahrestag der Schlacht bei Belle Alliance (Waterloo), in der Engländer und Preußen 1815 Napoleons letzte Armee schlugen.

Aber die Turner des Rhein-Main-Gebietes waren bereits seit 1858 versammelt und gründeten am 5. August 1860 in Offenbach den Mittelrheinkreis.

Auf dessen drittem Turntag in Idar-Oberstein, am 23. Juli 1861, stellte der Abgeordnete der im November 1860 gegründeten Mainzer Turngesellschaft, Goldschmidt, den Antrag, den Mittelrheinkreis in neun Bezirke, (Oberstein, Mainz, Gießen, Neustadt/Weinstraße, Darmstadt oder Offenbach, Wiesbaden, Frankfurt, Hanau und Dietz) aufzuteilen. Der Antrag wurde fast einstimmig angenommen und auf dem vierten mittelrheinischen Turntag in Mainz, am 15. September 1861, bestätigt.

Zunächst wurde Rheinhessen als 7. Bezirk, mit dem Vorort Mainzer Turnverein 1817, ab 1868 als fünfter Gau im neunten Kreis Mittelrhein der Deutschen Turnerschaft geführt. Erstmals stellte sich der Mainzer Turnverein 1817 als Vorort der rheinhessischen Turnvereine in einem Schreiben vom 9. Oktober 1861 vor, in dem er alle Turnvereine zur Feier des Jahrestages der siegreichen Schlacht bei Leipzig gegen Napoleon, am 18. Oktober 1813, aufrief und sie zu Freudenfeuern auf Bergeshöhen aufforderte.

Mit einem Schreiben vom 3. Juni 1862 lud der Vorort Mainz alle Turnvereine Rheinhessens zu einem Bezirksturnfest (entspricht Turntag, d. Red.) ein, zu dem jeder Verein einen Vertreter entsenden sollte.

Die Gründung des „Rheinhessischen Turnerbundes“

Die Tagesordnung dieses ersten rheinhessischen Turntages, der am 15. Juni 1862 im Lokal Hellmeister in der Gräberstraße (heute: Grebenstraße) in Mainz stattfand, umfasste die folgenden sechs Punkte

  1. Errichtung einer Vorturnerschule für Rheinhessen
  2. Aufstellung der Statistik des Bezirks
  3. Einigung über den für das Jahndenkmal zu entsendenden Felsblock
  4. Vertretung des Bezirks auf den Kreisturntagen
  5. Beitrag der Vereine für den allgemeinen deutschen Turnverband (DT)
  6. Regelung des Verhältnisses der Turnvereine zum Vorort des mittelrheinischen Turnverbandes (5. Kreis Mittelrhein)

Auf dem Turntag in Gonsenheim, im Frühjahr 1863, ist der rheinhessische Turnbezirk in folgende sieben Kreise eingeteilt worden:

Mainz, Bingen, Sprendlingen, Wörrstadt, Oppenheim, Alzey und Worms mit den genannten Orten als jeweiligem Vorort.

Bis Ende 1864 hatten sich in Rheinhessen 97 Turnvereine gegründet, von denen bereits 43 in einem Dokument zum ersten Bezirksturntag, am 15. Juni 1862, genannt sind.

Bis 1869 lösten sich zwar, bis auf 15 Turnvereine, die meisten auf, oder ließen die Turnpraxis ruhen, doch nach der Reichsgründung 1871 lebte das Turnen wieder auf. So hieß es denn auch im Kaiserreich: „Sänger, Turner, Schützen sind des Reiches Stützen“.

Beim mittelrheinischen Turntag in Mainz, am 22. Mai 1881, war der Geschäftsführer und spätere langjährige Vorsitzende der Deutschen Turnerschaft (DT), Dr. Ferdinand Götz aus Leipzig, anwesend, um im Auftrag des Ausschusses der DT den Mittelrheinkreis aufzufordern, seine Satzungen denen der Deutschen Turnerschaft und der anderen Kreise anzupassen. Götz kritisierte, dass das Weiterbestehen der Institution „Vorort“und die Einschränkung der Bildung neuer Gaue keinen Sinn machten.

Die Leitung des Gaues Rheinhessen wurde daraufhin ab 1883 einem Ausschuss übertragen, der zunächst aus fünf und ab 1897 aus sieben Mitgliedern bestand.

Die Gauvertreter beziehungsweise Gauvorsitzenden waren
Wilhelm Pöpperling aus Ober-Ingelheim, von 1883 – 1888
Emanuel Schmuck aus Bingen, von 1888 – 1898
Carl Schill aus Osthofen, von 1898 – 1933
Führer des Turnbezirks Rheinhessen war
Willi Bieger aus Frankfurt von 1933 an.

Eine Kritik von Götz, eine Beschränkung der Neubildung von Turngauen betreffend, was die Anzahl der Mitglieder betraf, wurde vom Mittelrheinkreis  zurückgewiesen. Es blieb demgemäß bei der Bestimmung, dass „neu zu bildende Gaue mindestens 1.000 Mitglieder“ nachweisen mussten.

Das ist insofern für uns Rheinhessen interessant, weil die drei Mainzer Vereine (Mainzer Turnverein, Turngemeinde und Turn- und Fechtklub) im August 1896, ohne den Gauvorstand zu informieren, allen Turnvereinen des ersten Bezirks Mainz per Rundschreiben mitteilten, dass der Turngau Rheinhessen zu groß geworden sei und deshalb den turnerischen Anforderungen nicht mehr genüge. Tatsächlich zählte der Turngau Rheinhessen am 1. Januar 1896 bereits 9.369 Mitglieder in 104 Vereinen. Eine Zahl, die sogar einige der 18 Turnkreise Deutschlands nicht erreichten. Die Mainzer Turnerschaft schlug deshalb eine Teilung des Gaues vor und lud alle Vereine des Mainzer Bezirks zu einer Besprechung am 13. September 1896 nach Mainz ein.

Das führte zu einer heftigen Polemik unter Einbeziehung der Tagespresse. Um den Streit zu schlichten kam zu dieser Besprechung am 13. September erneut Götz nach Mainz. Nach heftigen Diskussionen und Schriftwechseln kam es auf dem Turntag in Kastel, am 6. Dezember 1896, über eine namentliche Abstimmung zur klaren Ablehnung der Teilung des Gaues Rheinhessen. Die beiden Mainzer und  die drei Bezirksvereine, die für die Teilung gestimmt hatten, haben sich nach ihrer Abstimmungsniederlage in fairer Weise und ohne Groll wieder den Aufgaben des rheinhessischen Turngaues gewidmet. Ein gutes Zeichen demokratischen Reifungsprozesses, den die Rheinhessen, vermittels ihrer speziellen geschichtlichen Entwicklung, noch vorallen Deutschen begannen und der, wie am Beispiel gezeigt, auch die Entwicklung des Turnens in unserer Region entscheidend beeinflusste.

Die drei genannten Gauvorsitzenden haben in den fünfzig Jahren ihres Wirkens von 1883 bis 1933 den Turngau Rheinhessen zum größten im Mittelrheinkreis und zum zweitgrößten in der Deutschen Turnerschaft aufgebaut.

Turnen in der Zeit des Nationalsozialismus

Mit der Machtübernahme Hitlers, am 30. Januar 1933, erfuhren insbesondere das Turnen, das im Sinne Jahns Oberbegriff für alle Leibesübungen war, und die Deutsche Turnerschaft, als der mitgliederstärkste Verband Deutschlands, entscheidende Veränderungen.

Am 28. April 1933 wurde der SA-Gruppenführer von Tschammer und Osten als Reichssportkommissar eingesetzt, um „bei aller Wahrung der Tradition und des Eigenlebens der Verbände das vielfach planlose Nebeneinander von sportlichen Organisationen und Einrichtungen zu beseitigen.“

Das lockere Gefüge der bürgerlichen Verbände wurde zu fünfzehn straff geleiteten Fachverbänden (Fachämtern) zusammengefasst, wobei Edmund Neuendorff versuchte, die Deutsche Turnerschaft vor dieser Einordnung in die Reihe der Fachämter zu retten, um sie zur Führerin aller Turn- und Sportverbände zu machen, quasi als dritte Kraft im Reich neben der SA und dem Stahlhelm.

Die Arbeiter-Turn- und -Sport-Bewegung (ATSB) ist von den Nationalsozialisten am 30. April 1933 verboten worden.

Im Turngau Rheinhessen war die Umbildung bereits auf dem Gauturntag in Wallertheim, am 19. März 1933, eingeleitet worden. C. Schill gab „aus gesundheitlichen und Alters-Rücksichten“ das von ihm seit 35 Jahren geleitete Amt des ersten Gauvertreters ab. Als Nachfolger wurde W. Bieger gewählt, der bereits seit neun Jahren zweiter Gauvertreter war.

Bieger übernahm, anlässlich der Gauausschusssitzung in Nackenheim, am 6. Mai 1933, die Gauführung, nachdem seine Wahl vom neuen Kreisführer Topp auf dem Kreisturntag in Saar-brücken bestätigt worden war.

Er berief
Jakob Genss, Kastel, zum zweiten  Gauführer zur besonderen Verwendung
Dr. Karl Beier, Mainz, zum Diet- (entspr. Kulturwart, d. Red.) und Wehrturnwart,
Karl Wagner, Worms, zum Presse- und Werbewart,
Karl Albinus, Mainz, zum Geschäftsführer,
Heinrich Zaiss, Worms, zum Schatzmeister,

Zu Bezirksführern wurden
Ludwig Zerbes, Mainz, Philipp Lauther, Gimbsheim, Anton Berghof, Alzey, Anton Pfaff, Bingen und Albert Nohl, Oppenheim ernannt.

Der neue Gauführer Bieger erwartete „von allen Amtsinhabern restlose Pflichterfüllung“ und betonte ausdrücklich, „daß die Aufnahme des Führergedankens keinesfalls zu einer Diktatur führen soll. Unser Handeln soll nur bestimmt und getragen sein von dem entschlossenen Willen, unsere Arbeit so rasch als möglich auf die neuen Bedürfnisse einzustellen.“

Bieger kündigte auch eine Strukturänderung im Mittelrheinkreis an, die eine Neueinteilung der Gaue und Bezirke zur Folge haben sollte. Tatsächlich hat Neuendorff, in Übereinstimmung mit von Tschammer, verfügt, dass „künftig die bisherigen Kreise in Gaue, die Gaue in Bezirke und die Bezirke in Kreise (als jetzt unterste Einheit) umbenannt“ wurden.

Damit hieß ab Juni 1933 der Turngau Rheinhessen nunmehr Turnbezirk Rheinhessen, der Gauführer folglich Bezirksführer. Die rheinhessischen Turnvereine, die ehemals dem Unteren Nahe-Gau bzw. Rhein-Nahe-Gau angehörten, wurden nun dem Turnbezirk Rheinhessen zugeordnet. Somit entsprach dieser nun dem Verwaltungsbezirk. Der ehemalige Turnbezirk Oppenheim wurde aufgelöst und dem Nibelungen-Turnkreis Alzey-Worms zugeordnet, dem auch die rechtsrheinischen Orte Lampertheim, Bürstadt, Biblis, Bobstadt und Hofheim angehörten. Die Turnkreise Bingen und Mainz wurden ebenfalls zusammengeschlossen. In den Führerrat berief Bieger zum Oberturnwart Franz Wilhelm Beck aus Mainz, zu Jugendführern Albert Nohl aus Oppenheim und Gretel Henkel aus Mainz. Die anderen oben genannten Vorstandsmitglieder blieben im Amt. Ehrengauvertreter wurde C. Schill aus Osthofen und Ehrenoberturnwart Georg Frey aus Mainz.

Bezirksführer Bieger bemühte sich, die rheinhessischen Turner auf den „neuen Geist“ einzuschwören. In einem Aufruf für das Bezirksturnfest in Nackenheim am 1. und 2. Juli 1933 sollten die Turner „dort den Geist der neuen Zeit atmen und erneut in aller Öffentlichkeit bekunden, daß wir Turner treue Diener des geeinten Dritten Reiches sind.“

Die 1888 auf Initiative des MTV 1817 gegründete und ab 1898 ununterbrochen von C. Schill geführte „Turn-Zeitung für Rheinhessen“ musste zum Jahresende 1933 eingestellt werden. Diese monatlich erschienene Zeitung hatte zuletzt eine Auflage von 1600 Exemplaren (!). Schill schrieb im Schlusswort

„… Ich habe meine Arbeit an unserer Gauzeitung dahingehend ausgeübt, daß ich (…) freimütig, wo es nötig schien, Kritik geübt, aber man darf nicht wegen der Raupen die Bäume umhauen. Das könnte sich auch in der heutigen Zeit mancher hinter die Ohren schreiben.- Und nun nach altem Turnerbrauch zum Abschied ein herzlich Gut Heil!“ -  nicht Heil Hitler!!!“

Nur zögerlich – heute fast ganz vergessen – sind die Turner zu ihrem traditionellen „Gut Heil“ zurückgekehrt, einem Grußwort, das seit dem ersten Vorläufer der Deutschen Turnfeste, dem zu Heilbronn 1846, allgemeine Geltung fand, aber tatsächlich bereits 1140 im Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht, im Rolandslied und anderen Dichtungen des Mittelalters vorkommt!

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs, am 8. Mai 1945, haben von den drei westlichen Siegermächten die Franzosen in ihrer Besatzungszone den Wiederaufbau des Turnens und Sports am längsten behindert.

Im Amtsverkündigungsblatt für den Landkreis Mainz vom 2. November 1945 heißt es, dass von der Militärregierung in Mainz „die Sportarten (Fußball, Handball, Basketball und Hockey) allein zugelassen sind unter Ausschließung derer, die man unter Geländesport, Wanderungen und Turnen versteht. Es ist jeder Sport wie Boxen, Ringen, Fechten usw., der militärischen Charakter hat, streng verboten, sowie jeder Sport außerhalb eines Sportplatzes oder innerhalb einer Halle.“

In der Verordnung Nr. 33 der französischen Militärregierung vom 4. Februar 1946 wird „die Bildung von Vereinigungen oder Zusammenschlüssen von Sportvereinen (…) auf das Gebiet eines Kreises oder mit besonderer Genehmigung (…) auf das Gebiet eines Landes oder einer Provinz beschränkt.“

Die Wiedergründung des Rheinhessischen Turnerbundes

Nachdem am 8. Mai 1949 das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet worden war, durften auf dem Gebiet der französischen Besatzungszone die Turnvereine und ihre Organisationen wieder entstehen.

Am 26. Juni 1949 wurde in der Gonsenheimer Turnhalle der Rheinhessische Turnerbund als Folgeorganisation des Rheinhessischen Turngaues gegründet.

Die Mitglieder des Vorstandes waren:
Ludwig Welter, Sprendlingen , 1. Vorsitzender
Dr. Heinz Brühne und Gerd Wohlleben, beide Ingelheim, Stellvertreter
Alois Möbius, Gonsenheim, Geschäftsführer und Kassenwart
Konrad Schuller, Mainz, Pressewart
Dr. Karl Baier, Osthofen, Kulturwart
Jakob Henkel, Mainz , Oberturnwart
Dr. Hans Buch, Mommenheim, Männerturnwart
Ernst Stiegler, Weisenau, Leistungsturnwart
Georg Frey, Mainz, Altersturnwart
Emil Gau, Mainz, Kampfrichterwart
Adam Henn, Worms, Jugendturnwart
August Held, Bürstadt, Kinderturnwart
Gretel Henkel, Mainz, Vertreterin der Turnerinnen
Alex Weller, Worms, Frauenturnwart
Gertrud Müller, Kastell, Leistungsturnwartin
Franz Graf, Mainz, Spielwart
Ludwig Graf, Horchheim, Schwimmwart
Fritz Kropp, Weisenau, Volksturnwart
Heinrich Krieg, Worms, Fechtwart
Heinz Becker, Gonsenheim, Schneelaufwart

Der Rheinhessische Turnerbund gliederte sich in vier Turngaue:

Turngau Mainz
1. Vors. Anton Ott, Mainz-Bretzenheim
Oberturnwart Theo Schlink, Mainz-Gonsenheim

Turngau Bingen
1. Vors. Paul Schick, Jugenheim
Oberturnwart Robert Lichtenberg, Sprendlingen

Turngau Worms
1. Vors. Fritz Ritzinger, Worms
Oberturnwart Philipp Obenauer, Mölsheim

Turngau Alzey
1. Vors. Dr. Ing. Karl Hofmann, Framersheim
Oberturnwart Rudi Seitz, Alzey

Die Vorsitzenden des Rheinhessischen Turnerbundes seit der Wiedergründung:
Ludwig Welter, Sprendlingen, 1949 – 1958
Gerd Wohlleben, Ingelheim, 1958 – 1969
Prof. Dr. Hans Armin Weirich, Ingelheim, 1969 – 1978
Georg Schönfeld, Gau Bickelheim, 1978 – 1982
Gert Stiegler, Mainz, 1982 – 1990
Wolf-Dieter Zeiss, Westhofen, 1990 – 2006
Bernhard Roth, Mainz, 2006 – 2007
2007/08 nicht nominiert
Detlef Mann, Gau Odernheim, seit 2008

Die Vielfalt der turnerischen Angebote in den Vereinen des Rheinhessischen Turnerbundes wuchs seit der Gründung permanent. Somit wuchsen die Mitgliederzahlen und ein notwendiger finanzieller Rückhalt entstand. Bedeutend war, dass das Ehrenamt, das Miteinander und das Motiv gegenseitigen Helfens nach dem zerstörerischen Krieg und nach dem Zusammenbruch der meisten Vereine zu maßgeblichen Impulsen des Wiederaufbaues wurden. Dies beschreibt eine Grundauffassung der Turnvereine und ihren Aufbauwillen.

In der Blütezeit dieser Aufbauphase, in den 1950-er Jahren, errichtete man zahlreiche Turnhallenin Eigenregie, eine für Rheinhessen markante Situation. Das Typische war, dass Turnhallen immer auch als Begegnungsstätten gesehen wurden, Gaststätten und Veranstaltungsräume waren ihnen angeschlossen. Solche Vereinsanlagen wurden somit zu Zentren sozialer Gemeinschaft, Leibesübung und Gemeinsinn wurden als Einheit erfahren. Dieser Vereinsphilosophie messen die rheinhessischen Turnvereine ein besonderes Gewicht bei.

Der Sportstättenbau, eine heute überwiegend in kommunaler oder staatlicher Hand liegende Aufgabe, wurde unmittelbar nach Aufhebung der Sperre 1949 von den Vereinen in freiwilliger Aufbauarbeit selbst übernommen. Im Jahre 1980 waren von 158 Vereinen 58 im Besitz einer eigenen Halle.

In diesem Sinne entstand 1959 das Turnerheim des Rheinhessischen Turnerbundes in Mainz-Gonsenheim. Geschäftsführung und Koordination der fachlichen und der überfachlichen Arbeit des Verbandes wurden hier organisiert.

Am 19. November 1975 veranstaltete der Rheinhessische Turnerbund in Ingelheim ein Forum zum Thema Freizeitgestaltung, das deshalb erwähnenswert ist, da dort überaus klar Turnen als Freizeitangebot, Turnen als Kulturträger, Turnen als Mittelpunkt geselligen Lebens, Turnen zur Gesundheitsförderung und Turnen als Leistungssport von einem hochrangig besetzten und weithin beachteten Forum zielgebend diskutiert wurden.

Die Podiumsteilnehmer waren
Fred Zander, Bonn, Staatssekretär für Jugend, Familie und Gesundheit,
Albert Zellekens, Frankfurt, langjähriger Bundeskunstturnwart,
Dr. Horst-Peter Schwerdtner, Wiesbaden, Facharzt für Sportmedizin,
Werner Höllein, Mainz, Sportbund Rheinhessen,
Prof. Dr. Hans-Armin Weirich, Vorsitzender des Rheinhessischen Turnerbundes, der die Diskussion leitete.

Eine Struktureinbindung der vielfältigen fachlichen und überfachlichen Arbeit im Rheinhessischen Turnerbund in das Organisationsmodell Turnen, Sport und Turnspiele war eine der Folgen dieser Tagung. Das Angebot der Turnermusik wurde als  wesentlicher Beitrag zum Kulturauftrag gesehen und herausgestellt.

Beim Deutschen Turntag am 24. August 1982 in Mainz legte der Deutsche Turnerbund (DTB) die Begriffe Breiten- und Freizeitsport fest. Sie traten an die Stelle des Satzungsbegriffes allgemeines Turnen, das bis dahin als Abgrenzung zum Satzungsbegriff Sport verstanden wurde. Dies löste eine anhaltende Diskussion zur fachlichen Struktur des DTB und der Landesturnverbände aus, der auch der Rheinhessische Turnerbund folgte.

Turnfeste und Großveranstaltungen

Die ersten turnerischen Großereignisse nach der Gründung 1949 waren das deutsche Turnerjugendtreffen in Ingelheim, das Pfingsten 1950 stattfand, das erste Landesturnfest, am 8. und 9. Juli 1950 in Wöllstein, und das 6. Bundesalterstreffen, das mit über 6.000 Teilnehmern vom 7. - 9. August 1959 in Mainz veranstaltet wurde.

Das erste rheinhessische Kinder- und Jugendturnfest wurde 1968 in Mainz organisiert, es kamen über 1.100 Kinder ins Bruchwegstadion. Weitere Kinder- und Jugendturnfeste fanden statt am   5. Juni 1973 in Ober-Olm, am 11. Juli 1977 und am 17. Mai 1980 in Osthofen, am 23. August 1981 in Gau-Odernheim, am 11. Juli 1982 in Hechtsheim sowie vom 7.-9. September 2001 und 2007 in Nieder-Olm. Die Teilnehmerzahlen lagen bei 1.800 bis 2.300 Kindern.

Es bestanden drei Bergturnfeste in Rheinhessen. Das Waldeck-Bergturnfest in Ingelheim, das Scharlachberg-Turnfest in Bingen und das Landskron-Bergturnfest in Oppenheim. Letzteres besteht noch heute, die beiden anderen Turnfeste wurden von den örtlichen Veranstaltern aufgegeben.

Die rheinhessischen Landesturnfeste:

  1. Wöllstein - 1950
  2. Guntersblum - 1952
  3. Wöllstein - 1955
  4. Mainz-Gonsenheim - 1957
  5. Alzey - 1960
  6. Worms - 1964
  7. Wöllstein - 1967
  8. Osthofen - 1970
  9. Mainz-Bretzenheim - 1975
  10. Sobernheim - 1979 (gemeinsam mit dem Turnverband Mittelrhein)
  11. Alzey - 1989

Das Turnfest der beiden Turnverbände in Sobernheim 1979 wurde als Impuls-Veranstaltung für ein gemeinsames Landesturnfest Rheinland-Pfalz, zusammen mit dem Pfälzer Turnerbund, verstanden.

1965 gründeten die drei Turnverbände Pfalz, Mittelrhein und Rheinhessen, als jeweils selbständige Turnverbände des Landes Rheinland-Pfalz, eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE). Die sportlichen Angebote der drei Verbände sollten hierüber optimiert und koordiniert, Lehrgänge und Ausbildungen organisiert, sportpolitische Aussagen und Maßnahmen formuliert und realisiert werden. Gemeinsame Turnfeste auf der Landesebene von Rheinland-Pfalz wurden als ein Markenzeichen der Zusammenarbeit bereits bei Gründung der ARGE geplant.

Die Arbeitsgemeinschaft besteht und arbeitet im genannten Sinne bis heute.

Die Turnfeste auf der Ebene des Landes Rheinland-Pfalz

  • Mainz vom 31.05. – 03.06.1984
  • Trier vom 10.06. – 13.06.1993
  • Kaiserslautern vom 03.06. – 06.06.1999
  • Koblenz vom 10.06. – 13.06.2004
  • Mainz vom 13.05. – 16.05.2010

Die engere Zusammenarbeit des Rheinhessischen Turnerbundes mit dem Turnverband Mittelrhein ergab neben gemeinsamen Turnfesten und Lehrgängen auch die gemeinsame Mitgliederzeitschrift Turnen in Rheinland-Pfalz, die erstmals im Jahre 2000 erschien. Die Zeitschrift des Rheinhessischen Turnerbundes, Turnen in Rheinhessen, wurde 1999 aufgelöst. 

Eine stürmische Entwicklung der Mitgliederzahlen – 1972 waren es 40.000, heute sind es nahezu 77.000 Mitglieder –  resultierte vor allem auch aus der intensiven Zielsetzung zu Angeboten für Frauen, für Ältere, für Kinder und für die ebenso in den Vereinen sehr gut angenommenen und beförderten Freizeit- und Gesundheitsangeboten.

Mit den vielfältigen Angeboten der Vereine an ihre Mitglieder stiegen die Ansprüche an Qualität und Breite der Ausbildung. Diese Entwicklung machte zunehmend administrative Verbandsaufgaben notwendig. Zuletzt auch bauliche Veränderungen des Turnerheims, das zur zentralen  Bildungsstätte geworden war.

Die Übungsleiter- Aus- und -Fortbildung des Rheinhessischen Turnerbundes wurde ab 1973 in den Mittelpunkt übergeordneter fachlicher Ausbildungstätigkeit gestellt. Neben dem Sportbund Rheinhessen bildeten ausschließlich die Turner Übungsleiter aus. Die hauptamtliche Zahl der Mitarbeiter wuchs. Hieraus resultierend, aber auch wegen mittlerweile eklatanter baulicher Mängel, war der Umbau des Turnerheimsunumgänglich, der 1993 realisiert wurde.

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Literatur:

Braun, Harald: Geschichte des Turnens in Rheinhessen. Ein Beitrag zur wechselseitigen Beeinflussung von Politik und Turnen, 3 Bände, 1986, 1987 und 1990

Konrad, Walter: 60 Jahre Rheinhessischer Turnerbund, unveröffentlichte Dokumentation, 2009